Abschied von „Onkel Ernst“

Die Leichtathleten der TSG Slitisa Schlitz sind dem verstorbenen Ernst Decher ganz besonders verbunden. Für sie war er – selbst nach seinem Rückzug aus der praktischen Sportausübung, unter anderem mit seinem 40. Sportabzeichen als 83Jähriger – immer noch der interessierte, beratende, anregende „Onkel Ernst“, wie ihn die meisten noch immer nannten. Ja, sie werden ihn auch weiter so im Herzen haben und von ihm sprechen.

Bis vor kurzem war er noch immer hellwach, begleitete noch immer positiv kritisch den Sport, das Heimatgeschehen, die Weltpolitik, war noch immer mit gefälliger Feder in unserer Heimatzeitung präsent: der heimliche Ehrenbürger Ernst Decher.

 

 

 

 

 

Mitten im Herzen der Stadt zu Hause, hatte er den Überblick über den Zugang zur Innenstadt und über die Ringmauer, und natürlich über alles, was um das Trachtenfest herum geschah. Er lebte in der Wohnung mit dem tief hängenden Tragebalken, dem mancher seiner vielen, vielen Besucher den kräftigen  Kopfstoß verzieh, weil es dort immer so urgemütlich war, wozu in den letzten Jahren auch Sohn Wolfgang und Schwiegertochter Sandra liebevoll das Ihre taten.

Der Sport erfüllte sein Leben, der Sport prägte ihn, der Sport ehrte ihn. Schon in seiner Jugend sammelte er viele sportliche Auszeichnungen, vor allem in der Leichtathletik, früher Volksturnen genannt, und so von ihm auch immer verstanden. Kriegsbedingt zwischenzeitlich für den VfB Gießen und die TG Mühlhausen/Thüringen aktiv, war er ansonsten immer im Schlitzer Sportverein aktiv, als Aktiver, als Kampfrichter, Historiker, als vielseitigster, überall gefragter und immer einsatzbereiter Mann. So spielte er auch Handball, war erfolgreicher Turner und Schwimmer, aktiver Fußballer und Wanderer, sozusagen ein Querschnitt durch die heutige TSG Slitisa, an deren Zusammenschluss mit den Fußballern in den Vorkriegsjahren er maßgeblich mitwirkte.

„Onkel Ernst“ war Linienrichter, Vereinsrechner, Kampfrichter, vielseitiger Übungsleiter (auch in der Turnabteilung für die Frauenriege), lange Jahre Schriftführer des Vereins, 33 Jahre lang Abteilungsleiter Leichtathletik. Im Turngau Werra-Rhön, dem er bis zuletzt seine besondere Aufmerksamkeit widmete, war er neben anderen Funktionen 15 Jahre lang Leichtathletikwart, im Leichtathletik-Bezirk Statistiker und Pressewart.

Man kann es kaum glauben, dass er daneben auch die Heimatgeschichte intensiv studierte und viele Veröffentlichungen, vor allem in seinem „Nachbarn“, dem Schlitzer Boten, herausgab. Über seine interessanten Artikel und Serien hinaus hat er als Autor in 2006 und 2007 noch zwei wunderschöne Bücher herausgegeben. „Schlitz – gestern und heute“ und „Vergangenes und Gebliebenes“ lagen auf zahlreichen Schlitzer Weihnachtstischen und waren bald vergriffen.

Die erhaltenen Auszeichnungen gehen von den errungenen Siegen und Sport-Pokalen über die Ehrennadeln der Verbände, Ehrenbriefe und Plaketten bis hin zur Auszeichnung mit dem Sportehrenpreis des Vogelsbergkreises.

Die schönste Anerkennung seines Wirkens – so erzählte er einmal – war für ihn, dass es ihm in der Kriegsgefangenschaft gelang, auch andere Kriegsgefangene zum aktiven Sport zu bewegen und ihnen somit neuen Mut zum Überleben geschenkt zu haben.

Ob die jungen Leichtathleten des Vogelsbergkreises wohl wussten, welch wunderbarer Mensch ihnen bei den alljährlichen Kreis-Schülermeisterschaften die Urkunden auf den Podestplätzen der Schlitzer Kleinsportanlage überreichte?

Gott hatte ihm die Gnade gegeben, so alt zu werden, er hatte ihm den Geist bewahrt und die Kraft verliehen, dass er bis in die letzten Wochen noch relativ unabhängig sein konnte.

Aber es geht nicht nur um die Zahl der Jahre, die er selbst erleben durfte. Es trifft uns alle der Verlust, den die Heimatzeitung, die Stadt, die Vereine, die Sportler durch den Tod unseres „Onkel Ernst“ erfahren müssen. Die verlierbaren Lebenden trauern um den unverlierbaren Toten.

Lieber Onkel Ernst,

Du warst ein erfolgreicher Sprinter; denn Du warst für uns alle jederzeit schnell zur Stelle. Du warst ein guter Hürdenläufer; denn Du hast die Hindernisse überwunden und hast uns gezeigt, wie wir die Hürden unseres Lebens bewältigen können. Aber Du warst vor allem ein großartiger Marathonläufer; denn Du hast eine lange Wegstrecke an Jahren zurückgelegt, und nun bist Du an das Ziel gekommen.

Wir danken Dir für Deine Begleitung, und wir werden Dich sehr vermissen!

Heinfried und Waltraud Faitz für die Leichtathleten und viele andere Sportler der TSG Slitisa Schlitz

 

Ernst Decher zum Gedenken

Ernst Decher hat das Zeitliche gesegnet. Sah ihn der im letzten Jahr begangene 95. Geburtstag noch in gewohnter Vitalität und bei geistiger Lebendigkeit, so haben ihn die gesundheitlichen Probleme von 2009 eingeholt und einen Lebenskreis geschlossen, in dessen Mittelpunkt neben Familie und Beruf die Turn- und Sportgemeinde Slitisa Schlitz und das öffentliche und sportliche Leben seiner Heimat im weitesten Sinne standen.

 

 

 

 

 

Sein Interesse am Sport und an körperlicher Ertüchtigung über Generationen hinweg galt nicht nur dem eigenen Verein. Der Sportkreis Lauterbach und der Turngau Fulda-Werra-Rhön, dessen Vorstand er über viele Jahrzehnte angehörte, haben von seinen Erfahrungen profitiert. Die dankbare Würdigung, die er in seinem langen Sportlerleben von dieser Seite seiner ehrenamtlichen Tätigkeit erfuhr, war ein persönlicher Vertrauensbeweis. Dank seiner Verantwortungsbereitschaft konnte die TSG Slitisa einen festen Platz im Organisationsbereich des Sports der gesamten Region einnehmen.

Sein Engagement erfuhr eine außergewöhnliche Anerkennung, als ihn die Jahreshauptversammlung unseres Vereins zum „Sportler des Jahrhunderts“ ernannte; dies war ein seltener Beweis für Anerkennung und Beharrlichkeit, die den Geehrten als Menschen und als Sportler durch ein langes Leben auszeichneten. Ernst Decher hatte sich schon seit frühester Jugend sportlich betätigt. Der Leichtathletik, in der er schon in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg beachtliche Erfolge erzielte, galt sein besonderes Interesse.

Mit 25 Jahren musste er 1939 den Rock des Soldaten anziehen. Seine Begeisterung dafür hielt sich nach seiner eigenen Aussage in Grenzen. Trotzdem sollte diese Zeit, die mit langen Jahren russischer Kriegsgefangenschaft verbunden war, ihren Einfluss auf seine weitere Lebenshaltung nicht verlieren. Stets war sein Leben von großer Bescheidenheit geprägt. Ernst Decher ging nach seiner Heimkehr der Öffentlichkeit nicht aus dem Wege. Wenn er sich in die wechselnden aktuellen Probleme des Vereins und der gesamten Gemeinde einmischte, konnte man sich darauf verlassen, dass es ihm dabei um Lösungen ging. Nutzlose Auseinandersetzungen waren nicht seine Sache.

In dieser seiner Haltung besaß der Verstorbene ein hohes Vertrauenspotential quer durch die Generationen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger und besonders seiner Freunde in unserem Verein. Die Turn- und Sportgemeinde Slitisa Schlitz wird Ernst Decher ein ehrendes Andenken bewahren. Er ruhe in Frieden.